Das Ende des materiellen Zeitalters
Der Sinn von Arbeit
Die Idee, dass das materielle oder instrumentale Zeitalter zu Ende geht, wie von dem US-amerikanischen Philosophen Ivan Illich postuliert, unterstreicht die Notwendigkeit eines grundlegenden Umdenkens in der Strategieentwicklung. Der Theologie- und Kulturkritiker Illich war in den 1970er Jahren vielleicht der erste Technikkritiker (und damit ein Kritiker der Marktwirtschaft), der vom Ende des materiellen Zeitalters gesprochen hat, aber bei weitem nicht der Einzige. Auch die deutsche Managementtrainerin Vera Birkenbihl sprach in ihren Seminaren bereits vom Ende des materiellen Zeitalters, dem Sinn von Arbeit und neuen Führungsmethoden.
Wie weit tragen dann noch Strategien, die auf den aktuellen Rahmenbedingungen basieren? Geht die klassische strategische Planung - Strategic Foresight - möglicherweise nicht weit genug, wenn wir uns tatsächlich am Ende einer Epoche befinden?
Jenseits des Instrumentalen Denkens
Es geht nicht allein um die Unzulänglichkeit linearer Strategien in einer instabilen Welt. Es geht auch darum, dass fortschrittliche Foresight-Methoden noch zu sehr in instrumentalem Denken verhaftet sind. Wenn alle Annahmen über die Zukunft auf Möglichkeiten innerhalb des bekannten Systems beruhen, dann entsteht zwar eine vermeintliche Planungssicherheit, aber eben nur so lange, bis das System sich verändert. Insofern stellt sich die Frage, ob Strategic Foresight als Werkzeug für die Navigation ausreicht.
Neudenken von Organisationen und Strategien
Statt nur flexiblere Strategien zu entwickeln, sollten Organisationen möglicherweise ihre gesamte Existenz und ihren Zweck überdenken. In einer post-instrumentalen Welt könnten Konzepte wie "Marktschocks" oder "Wettbewerbsfähigkeit" an Bedeutung verlieren. Stattdessen könnten Fragen nach dem gesellschaftlichen Nutzen und der ökologischen Einbettung in den Vordergrund rücken.
Unser aktuelles Wirtschaftsmodell ist auf grenzenloses Wachstum angewiesen. Shareholder Value und wettbewerbsbedingte Skalierungsstrategien sind valide Treiber für Wachstum. Eine weitere Ursache ist aber auch in der Währungsinflation zu sehen. Und: Der Idee vom grenzenlosen Wachstum steht nun auch noch die Notwendigkeit zur Nachhaltigkeit gegenüber. Wollen wir uns von den nützlichen Dingen in unserem Leben nicht ganz verabschieden, dann müssen wir Produkte so produzieren, dass sie lebenslang haltbar, oder zumindest reparierbar sind. Befinden wir uns also am Beginn des Postproduktionszeitalters?
Ein Wirtschaftsmodell, das an dieser Stelle unweigerlich in den Fokus rückt, ist die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), die sich in Kurzform als Gegenentwurf zur kapitalistischen Marktwirtschaft beschreiben lässt. Die Wirtschaftsleistung würde in der GWÖ nicht mehr über das Bruttoinlandsprodukt, sondern über eine Gemeinwohlbilanz ermittelt werden. Die zentralen KPIs in der GWÖ sind folglich: Menschenwürde; Solidarität und Gerechtigkeit; ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung.
Weniger Hierarchie, mehr Selbstorganisation
Inzwischen ist auch von prominenten Stimmen, wie zum Beispiel von dem Neurobiologen Gerald Hüter, der spätestens mit seinen populärwissenschaftlichen Vorträgen über das menschliche Gehirn auf YouTube bekannt wurde, zu hören, dass die hierarchischen Arbeitsstrukturen, die sich in der kapitalistischen Marktwirtschaft ausgeprägt haben, zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Psychische Belastungen führen oft zu somatischen Erkrankungen, die schließlich eine ambulante oder stationäre Patientenversorgung erfordern. In der Folge sind die Kosten für die Behandlung von psychosomatischen Erkrankungen nicht nur der Preis, den wir für eine hierarchisch organisierte Marktwirtschaft zahlen, sondern auch einer der Kostentreiber, der Arbeit durch kontinuierlich steigende Sozialversicherungsbeiträge immer teurer macht.
Die Auflösung von hierarchischen Organisationsprinzipien und die Entwicklung hin zu selbstorganisierten Teams hat bereits begonnen: Agile Work hält in immer mehr Arbeitsbereich Einzug. Das selbstbestimmte Arbeiten, das in agilen Teams zumindest im Rahmen Zielvorgaben möglich ist, begeistert die Mitarbeiter und führt am Ende auch zu besseren Arbeitsergebnissen. Die Voraussetzung hierbei ist allerdings, dass nicht nur stumpf die Arbeitsleistung (Output), sondern vielmehr die Wertschöpfung (Outcome) gemessen wird. Wenn Sie mehr zu diesem Thema erfahren möchten, hören Sie sich diesen Podcast an.
Von Vorhersage zu Anpassungsfähigkeit
In der Diskussion um Strategic Foresight wird die Wichtigkeit von Zukunftsszenarien betont; dabei könnte man genauso gut argumentieren, dass in einer Welt jenseits des instrumentalen Zeitalters die Fähigkeit zur ständigen Anpassung und Transformation wichtiger wird als Vorhersagen. Es geht weniger darum, die Zukunft zu antizipieren, als darum, Organisationen so zu gestalten, dass sie in jeder möglichen Zukunft gedeihen können. Denn was nutzt es, wenn eine Organisation die Zukunft (ihres Marktes) korrekt vorhersagen kann, aber ihre Anpassungsgeschwindigkeit nicht ausreicht, um bis zum prognostizierten Termin vollständig transformiert und auf die neuen Herausforderungen eingestellt zu sein?
Überdenken von Erfolg und Wachstum
Einer BCG-Umfrage aus dem Jahr 2025 zufolge ist das Kostenmanagement weiterhin eine Top-Priorität für Führungskräfte. Im Kontext des Endes des materiellen Zeitalters könnte man jedoch argumentieren, dass wir grundsätzlich überdenken müssen, was "Erfolg" und "Wachstum" bedeuten. Vielleicht sollten wir uns von der Fixierung auf finanzielle Kennzahlen lösen und ganzheitlichere Maßstäbe für organisatorischen und gesellschaftlichen Fortschritt entwickeln.
Fazit
Der Wandel vom materiellen zum post-instrumentalen Zeitalter fordert von Unternehmen ein tiefgreifendes Umdenken in Bezug auf ihre strategische Ausrichtung und ihren gesellschaftlichen Auftrag. Klassische Wachstums- und Effizienzparadigmen stoßen angesichts ökologischer und sozialer Herausforderungen an ihre Grenzen. Stattdessen gewinnen Werte wie Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Nutzen und ökologische Verantwortung an Bedeutung und sollten integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie werden.
Für KMU und ihre Führungskräfte bedeutet dies, nicht nur auf flexible Strategien zu setzen, sondern die eigene Organisation und deren Erfolgskriterien grundlegend zu hinterfragen. Die Förderung von Selbstorganisation, die Abkehr von starren Hierarchien und die konsequente Ausrichtung auf langfristige Wertschöpfung und Anpassungsfähigkeit sind zentrale Erfolgsfaktoren der Zukunft.
Nachhaltige Unternehmensführung erfordert daher ein neues Verständnis von Wachstum und Erfolg, das finanzielle Kennzahlen um ökologische und soziale Dimensionen ergänzt und so die Resilienz und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sichert.